Hardware-Startups: Das unterschätzte Potenzial

10.07.2023

Vergleicht man die Anzahl softwarebasierter Startups mit denjenigen, die zumindest auf einem Hardware-Anteil basieren, so scheinen Innovationen, die etwas Physisches beinhalten, wenig beliebt zu sein. Hardware gilt als langwierig, teuer und damit risikoreich – da setzt man dann doch lieber auf komplett Software-basierende Geschäftsmodelle. Dabei ist insbesondere im Zeitalter von „Clean Tech“ oftmals das Engineering von Startups mit Hardware-Anteilen durchaus erfolgversprechend. Wenn neben Rendite auch Impact in Form von sozialen und ökologischen Aspekten einbezogen werden, kann es chancenreich sein, zum Lötkolben zu greifen!

Schätzungsweise 80% aller Tech Startups basieren ausschließlich auf Software, während weniger als 10% wesentlich auf Hardware setzen. Das mag am Zeitgeist und der niedrigeren Eintrittsschwelle liegen, wenngleich mit dem klassischen Erfinder traditionell nicht etwa ein Programmierer, sondern eine Art Daniel Düsentrieb mit kreativen Engineering-Fähigkeiten verbunden wird. Nun gibt es heutzutage nur wenige Innovationen, die nicht auch Elektronik mit beinhalten und entsprechend auch einen Software-Anteil für Steuerung oder Datenhaltung vorsehen.

Der Einstieg ist einfach geworden

Während vor 20 Jahren das Entwickeln eigener elektronischer Geräte ohne ein mittleres Team kaum möglich war, bringt die Massenfertigung programmierbarer Mikrokontroller wie der Raspberry Pi oder Arduino umfassende Möglichkeiten im Briefmarkenformat und das zu sehr niedrigen Preisen. Auch die Programmierung erfordert nicht mehr ein abgeschlossenes Informatikstudium oder eine mehrjährige Ausbildung, sondern ist mit Bordmitteln oder verfügbaren Modulen schnell erledigt.

Neben diesen Steuereinheiten finden sich in ebenso schier unendlicher Form Sensoren oder elektromechanische Normteile, um damit zumindest Prototypen oder Minimal Viable Products (MVPs) zu konstruieren.

Wesentliche Unterschiede bei Hardware

Insgesamt schreckt viele Gründer die deutlich höhere Komplexität bei Startups auf Hardware-Basis ab. Das Team benötigt Spezialisten aus unterschiedlichen Disziplinen und ist damit meist deutlich größer, als wenn eine App oder eine Software-Plattform entwickelt werden soll.

Da Hardware bei der Auslieferung fehlerfrei sein muss und nicht wie bei Software die Möglichkeit besteht, dass Bugs durch ein Update behoben werden können, erfolgt die Entwicklung eines marktreifen Produktes in deutlich mehr Phasen als dies beispielsweise bei einer App notwendig wäre. Für diesen längeren Entwicklungsprozess sind größere Investitionen erforderlich und die „Runway“ muss in der Praxis länger sein, um einen Erfolg zu sichern.

Im Gegensatz zu Software lässt sich Hardware nicht nahezu kostenfrei auf Knopfdruck vervielfältigen. Entsprechend ist die prozentuale Marge auf Hardware-Seite meist erheblich niedriger und steigt erst mit Massenfertigung an. Um dies zu umgehen, kombinieren viele Hardware-Anbieter inzwischen ihre Produkte mit zugehöriger Software, so dass manchmal das eigentliche Produkt eine Art Trojanisches Pferd darstellt, um entsprechend Software verkaufen zu können. Dieser Trend ist inzwischen auch bei den Auto-Herstellern angekommen, die etwa für ihre Elektroautos sogenannte „Performance-Updates“ verkaufen, die dann ausschließlich aus Software bestehen.

Hardware-Vorteile für Unternehmensgründungen

In vielen Fällen resultiert die Frage ob „mit oder ohne“ Hardware aus dem zugrundeliegenden Geschäftsmodell, welches die Lieferung eines physischen Geräts benötigt. Seien es mechanische Teile, Sensoren, Aktoren, Bedienerschnittstellen oder eine andere Apparatur. Da stellt sich diese konkrete Frage meist nicht, sondern allenfalls die nach der Architektur des Gesamtsystems.

Alle Nachteile eines Hardware-basierenden Geschäftsmodells stellen jedoch gleichermaßen einen enormen Vorteil dar: Je schwieriger der Markeintritt ist, umso weniger Wettbewerber sind zu erwarten. Software dagegen muss einen enormen Wettbewerb aushalten, mit dem Ergebnis, dass in einem entstehenden Markt schon zu Beginn so viele Teilnehmer zu finden sind, dass kaum einer auf ein ausreichendes Mengengerüst kommt. Erfolg im Markt ergibt sich aus der Relation zwischen Nachfragevolumen und Anzahl der Anbieter. Manch enge Nische hat sich auf diese Weise mangels Wettbewerbs zur Goldgrube entpuppt, wohingegen viele Boom-Märkte schon zusammenbrechen, bevor sie entstanden sind.

Investoren-Sicht: Den Exit im Blick

Auch wenn die öffentliche Meinung vielleicht wenig relevant ist für den unternehmerischen Alltag, so bringt die Aufmerksamkeit für „Deals“ in der Startup-Szene und spektakuläre Exits einen Fokus auf diejenigen Gründungen mit sich, die in das Portfolio von Investoren passen können. Da die meisten Investoren Geld in Fonds einsammeln und die Anleger dort einen Horizont von etwa 10 Jahren haben, muss jede Geschäftsidee einen straffen Entwicklungspfad absolvieren, damit innerhalb des Zeitraums der gewünschte Wertzuwachs inklusive Verkauf erreichbar ist.

Insbesondere bei den risikoreichen Frühphasen-Beteiligungen erfordert eine Neugründung aufgrund des Geschäftsmodells der Investoren einen so großen möglichen Wachstumsfaktor, dass dieser mit Hardware wegen der niedrigeren Margen oft nur schwer erreichbar ist. Mag ein auf solidem Engineering basierendes Geschäftsmodell zwar profitabel sein, so kann es aber eben nicht so skalieren, wie das bei anderen Geschäftsmodellen möglich wäre. Auch bewirken höherer Kapitalbedarf sowie die längere für den Aufbau benötigte Zeit eine niedrigere Attraktivität als bei hoch skalierbaren, schneller umsetzbaren Geschäftsmodellen angestrebt wird.

Ist Hardware weniger attraktiv?

Softwareentwicklung gilt heutzutage als schick und attraktiv – damit hat sie längst den Kreis der Technik-Freaks verlassen. Anders ist dies bei technischen Basteleien: Hier finden sich nach wie vor tendenziell „Nerds“, die ihre Freizeit mit technischen Themen verbringen.

Die Generation die mit Technik-Baukasten, dem Verständnis von Mechanik oder Elektrik aufgewachsen ist, wird zudem durch Generationen, die ausschließlich mit Computerprogrammen in Berührung gekommen sind, abgelöst. Auch wenn es durchaus heute noch eine Szene aus Bastlern geben mag, so sind dies vor allem diejenigen, die auf dem Markt als Ingenieure oder Informatiker heiß begehrt sind. Überhaupt hat sich die Mentalität vom „Selber machen“ in vielen Bereichen hin zu einer hoch arbeitsteiligen Dienstleistungsgesellschaft hin verändert.

Mag mancher Software als langweilig und abstrakt empfinden, so passt die Beschäftigung sehr viel besser in den Lebensentwurf junger Menschen. Die Perspektive eines „digitalen Nomaden“, der arbeitet, während er durch die Welt reist, kann viele begeistern.

Warum trotzdem ein Hardware-Unternehmen gründen?

Allen Nachteilen zum Trotz gibt es zahlreiche Gründe, die dafürsprechen, sich beim Startup nicht ausschließlich auf Software zu beschränken.

Hardware bedient eine vollkommen andere Kunden-Klientel, die mit Software niemals erreicht werden könnte. Und rund um die Hardware gibt es zahlreiche Möglichkeiten, damit Geld zu verdienen. Dabei ist die Schaffung eines physischen Produktes sehr viel aufregender als die Programmierung einer Software. Auch in der Öffentlichkeit genießten Hardware-Gründer*innen meist erheblich mehr Aufmerksamkeit: Die Menschen lieben Hardware und mögen Dinge zum Anfassen!

Bevor Sie also überlegen, eine weitere App zu ihrem Thema herauszubringen: Wie wäre es mal mit einem Gerät oder einer Vorrichtung? Und wenn Sie wirklich vor der Wahl stehen, fragen Sie sich einfach: Womit möchten Sie Ihre Lebenszeit verbringen?

 

Wie steht Ihr Unternehmen oder Startup zu diesem Thema? Haben Sie bereits Erfahrungen mit Hardware gewinnen können? Wo sehen Sie besondere Herausforderungen? Was ist Ihre Meinung als Newsletter Leser*in zu diesem Thema? Wir freuen uns über Feedback, Fragen und Diskussionsbeiträge in jegliche Richtung!